Nach 6 Stunden "arbeiten" – spazieren gehen, Jacken anziehen helfen, Rollstuhl schieben, Nase putzen, Essen reichen, Geschichten vorlesen, puzzeln, lachen und singen – verlasse ich das städtische Alten- und Pflegeheim. Meine "lieben Alten", die ich an fünf Tagen pro Woche betreue, und mich trennen viele Jahre: gelebte Leben, Erfahrungswerte und Geschichten. Die Biografien dieser "lieben Alten" sind so umfassend, oft so dramatisch durch Krieg, Not und Krankheit gezeichnet. Aber auch durch Liebe, Familie, Kinder, Ehe, den Glauben an Gott, durch Berufe, Erlebnisse und Glück. Dieses Glück bekommt ein neues Gesicht, wenn ich ihnen zuhöre.
DAS WEBLOG
Diese "lieben Alten" sind für mich zugleich ein Teil meiner Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Wenn sie einmal von uns gehen, so geht auch ein Teil meiner und unser aller Lebensgeschichte mit ihnen. Daher bin ich stolz und froh darüber, sie nun zu begleiten: ihre Hand zu halten, in ihre Augen zu schauen und die Lebensfalten in ihren Gesichtern zu betrachten. Oft stelle ich mir vor wie mir all die vielen kleinen und größeren Lebenslinien eine Geschichte erzählen über diese Menschen.
Es sind solche Momente, die mir zeigen, wie lebenswert auch dieser letzte, oft sehr langwierige Weg sein kann. Daran möchte ich mich so lange wie möglich erinnern.
Nach 6 Stunden "arbeiten" verlasse ich die Welt der zumeist an Alzheimer erkrankten Menschen mit Demenz. Eine Welt, in der ich versuche, ihnen eine Stütze zu sein bei ihrer Konzentration und Erinnerung. Denn der Weg, auf dem sie sich befinden, bietet kein "zurück".
Vielen Menschen sind Demenzkranke ein Rätsel. Zum großen Teil werden sie abgeschrieben oder einfach ignoriert. Ich bin bei ihnen jedoch beruflich "angekommen" – und dafür da, sie in ihrer Einzigartigkeit zu achten und ihnen meine ganze Aufmerksamkeit zu schenken. Dafür stehe ich jeden neuen Tag mit einem Lächeln im Gesicht auf.
Informationen zur Autorin:
Bernadette Engelhardt (Kulturgeragogin (FH)) ist unter anderem als zertifizierte Betreuungsassistentin in verschiedenen Einrichtungen der Altenpflege tätig. Freiberuflich arbeitet sie zusätzlich als Beraterin und Betreuerin für Menschen mit Demenz und deren Angehörige, sowie als Autorin und Projektleiterin. Seit August 2012 ist sie zusätzlich tätig als "Botschafterin" für die bundesweite Kampagne Konfetti im Kopf. Nach mehreren Ausbildungen absolvierte sie weitere Fortbildungen und Ehrenämter im sozialpädagogischen und psychologischen Bereich. Bernadette Engelhart lebt in Bonn.
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