Es waren wieder einmal mehrere schlimme Wochen und wieder hat es Emines Körper geschafft, sich gegen den drohenden Tod zu wehren. Meine Frau ist nun 62 Jahre alt und mittlerweile seit sieben Jahren in einem Pflegeheim untergebracht.
DAS WEBLOG
Vor gut vier Wochen bekam Emine einen leichten Husten, der sich rasch zu einer Lungenentzündung entwickelte. Sofort kam hohes Fieber hinzu. Nicht nur ich dachte, dass es nun an der Zeit ist, dass der liebe Gott sie zu sich holt. Wenn ich nicht bei ihr war und mein Telefon klingelte, dachte ich sofort: das Pflegeheim!!
Oh Gott, wie oft habe ich mich mit diesem Gedanken auseinander gesetzt? Keine Ahnung, gebetet habe ich immer für sie, täglich, so wie ich sie eben auch besuche, dass der liebe Gott seine Hand schützend über sie hält – sie nicht leiden lässt und sie keine Qualen erleiden muss. Emine hat es wieder geschafft, das Herz – und der Kreislauf, sowie alle anderen Organe: alles ist stark.
Gestern war ich nach fast drei Wochen das erste Mal wieder mit ihr für 10 Minuten im Garten. Sie lag schlafend in ihrem Rollstuhl, keine Reaktion, bis ich sie gestreichelt habe. Sogar ihre Augen hatten sich leicht geöffnet, und ich erkannte dann auch sofort ein Lächeln in ihrem Gesicht. Was ist das für ein Leben?
Sie liegt in ihrem Bettchen, ich berühre sie sanft, spiele ihr türkische Musik vor, und was denke ich dabei, nach so vielen Jahren? Ja, ich denke, ob es nicht besser gewesen wäre, wenn sie es diesmal nicht geschafft hätte. An wen denke ich bei diesen Gedanken am meisten – an meine Frau, oder denke ich dabei viel mehr an mich? Wie meine Frau das gesehen hätte, ist mir bekannt und das weiß ich und wird von mir auch so befolgt und ausgeführt, dafür habe ich die Vorsorgevollmacht. Auch diesmal habe ich alle lebenserhaltenden Maßnahmen abgelehnt, sogar dem vom Arzt vorgesehenen Transport ins Krankenhaus habe ich nicht zugestimmt.
Noch einmal werde ich es nicht zulassen einen Demenz-Patienten im Krankenhaus zu lassen, das habe ich vor zwei Jahren erlebt. Niemals wieder. Dafür sind die dort gar nicht eingerichtet. Fehlende Bettgitter, niemand der meiner Frau Essen und/oder Wasser reicht. Alles was nötig war, konnte auch im Heim geleistet werden!
Liebe Wegweiser-Demenz-Leser, ihr kennt meine Geschichte, ihr teilt das gleiche oder ein ähnliches Schicksal. Dabei ist der Verwandtschaftsgrad des Angehörigen zweitrangig. Es geht um jemanden den man liebt. Sie wissen, wie es in mir aussieht und dass es nicht einfach ist, für eine „andere“ Person Entscheidungen zu treffen. Ich habe die Betreuung für meine Frau übernommen und stehe dazu. Alles ist in ihrem Sinne. Warum mache ich mir eigentlich Vorwürfe? Die Liebe zu meiner Frau ist nach wie vor uneingeschränkt groß – anders als früher, aber nicht weniger, vielleicht liebe ich sie sogar mehr als früher.
Wichtig für mich sind meine Gedanken, in wie weit (muss ich mich) müssen sich Angehörige mit Entscheidungen auseinander setzen. Mache ich das Richtige? Was ist gut für meine Frau?
Eines steht fest: bis zum Schluss werde ich an ihrer Seite sein, egal wann ihr Körper sie gehen lässt, so wie ich es meiner Emine am 09.08.1990 versprochen habe!!
Heute ist der 09.08.2012, es ist 12:58 Uhr, ich bin gerade auf dem Weg zu meinem Roller um zu meiner Frau zu fahren. Mein Telefon schellt, und es meldet sich der Heimleiter: „Herr Oppermann, wir haben soeben den Notarzt gerufen, bitte kommen sie schnell zu uns."
Ich bin wie von Sinnen, sitze auf meinem Roller und fahre voller Emotionen zu meiner Frau, der gerufene Rettungswagen überholt mich an einer roten Ampel..... Tränen laufen mir die Wangen runter.......... ich sehe Emines Lächeln vor mir!!!!!!
Es sollte noch schlimmer für meine Frau und mich kommen. Die Rettungssanitäter und der Notarzt waren eine „Fahrstuhllänge„ vor mir bei meiner Frau auf der Station. Sie drohte einen Erstickungstod zu erleiden. Das gerade gereichte Essen war durch einen Hustenanfall in die Speiseröhre gelaufen und dann in die Lunge, ich hielt meiner Frau die Hand, und konnte sie so in diesem Zustand nicht leiden sehen. Ich habe es zugelassen, dass der Arzt seine Arbeit machen konnte. Fast wäre sie einem Erstickungstod erlegen, da ging es für mich nicht um lebenserhaltende Maßnahmen. Einen Erstickungstod möchte sicher niemand erleiden. Also gab ich für dem Arzt grünes Licht.
Die Lunge musste anschließend im Krankenhaus abgesaugt werden, die Reste haben Bakterien in die Lunge gebracht, die eine Lungenembolie ausgelöst hat. Jeden Tag bin ich bei Ihr, sie bekommt lediglich ihre „normale“ Medizin plus Schmerzmittel verabreicht. Sobald ein Einzelzimmer frei ist, wird sie von der Intensivstation auf die normale Station verlegt.
Emine muss es nun, nachdem alle Schläuche gezogen sind, selber schaffen, dass sie das nicht schaffen kann, ist mir bewusst, aber das wollten wir beide so!!
Ich habe mit dem Pflegepersonal unseres Heimes besprochen, dass Emine ihre letzte Ruhe auch in ihrer gewohnten Umgebung finden kann, und so kam sie am 14.08.2012 in ihre Umgebung zurück.
Sie musste nicht leiden.
Es ist schlimm einen geliebten Menschen sterben zu sehen, doch der liebe Gott ist bei mir. Ich glaube fest daran, und mir hilft es.
Das Pflegepersonal, dem ich zu großem Dank verpflichtet bin, und ich haben am 15.08.2012 von meiner Ehefrau Abschied nehmen dürfen. Sie ist eingeschlafen.
Emine, nun passt der liebe Gott auf dich auf und ich trage dich in meinem Herzen.
!! Ich liebe dich !!
Informationen zum Autor:
Adolf Oppermann ist gelernter Koch und lebte früher in Wuppertal. Der Frührentner war über 20 Jahren mit seiner türkischstämmigen Frau Emine verheiratet, die an Alzheimer erkrankt war. Adolf Oppermann besuchte Emine fast täglich im Pflegeheim. Sein Motto: "Wer kämpft, kann verlieren. Wer nicht kämpft, hat schon verloren."
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