Im Verlauf der Demenz treten als Symptome der Erkrankung z. B. Sprachstörungen, Störungen des Handlungsablaufs und des Wiedererkennens auf. Bei Patienten mit Migrationshintergrund ist die Abgrenzung bei der Diagnose Demenz erschwert, da Sie die deutsche Sprache mit zunehmender Erkrankung „vergessen“. Frau Ernst-Tijero berichtet von ihren Erfahrungen.
DAS WEBLOG
Diagnose Demenz bei Migrationshintergrund
„Keine Ahnung“… es war der Lieblingssatz einer Frau aus der Türkei, die unter einer Demenzerkrankung litt. „Hola mama, donde estuviste?“ (Hallo Mama, wo warst du?) hat Frau Perez Schwester S. T. immer gefragt, wenn sie bei ihr war. Mr. Phillip asked me if I know, how you can drink from a bottle (Herr Philipp fragte mich, ob ich weiß, wie man aus einer Flasche trinken kann)… Es war für mich schwer zu verstehen, ob bei der Dame, die immer „keine Ahnung“ gesagt hat, eine globale Aphasie, also eine Sprachstörung, vorlag oder sie sich tatsächlich an keine anderen Worte auf Deutsch erinnern konnte. Bei Frau Perez war mir klar, dass sie Schwester S. T. mit ihrer Mutter verwechselt hat. Und Herr Philipp hatte offenbar vergessen, wie man eine Flasche öffnen kann.
Zu den Symptomen bei Demenzerkrankungen gehören u. a. die Sprachstörungen (Aphasien), die Störung eines Handlungsablaufs (Apraxie) und Störung des Wiedererkennens (Agnosie). Sprachstörungen sind als Frühsymptome fast bei allen Demenzerkrankungen insbesondere bei der Alzheimer-Krankheit zu sehen. Im weiteren Verlauf -wie bei der mittelschweren Demenz bis zur schweren Demenz- finden sich Veränderungen der Sprachbildung bis zur globalen Aphasie. Hier ist es schwer, bzw. kaum möglich den Demenzkranken zu verstehen. Bei der globalen Aphasie kommt es zu einem zunehmenden Verlust der Sprache, zunächst in Form von verkürzten Sätzen, später nur noch als einzelne Worte, die dann immer wiederholt werden.
Es ist ganz selten, dass eine ältere Frau aus der Türkei –wie im oben genannten Fall- die deutsche Sprache benutzt. Interessant war, dass Sie immer denselben Satz wiederholt hat, wenn eine deutsche Pflegekraft vor ihr stand. Nach meiner Beobachtung merkte ich, dass sie auf Türkisch mehr Sätze sagen konnte. Damals habe ich mich gefragt, ob ihr Lieblingssatz dazu beigetragen hatte, die Diagnose Demenz zu stellen.
Bei der Apraxie kann der Demenzkranke einen bekannten Handlungsablauf nicht mehr der Reihenfolge nach ausführen. Der Demenzkranke weiß z. B. nicht mehr, wie man den Deckel der Flasche aufdrehen kann, wie im Fall von Herrn Philipp. Das kann ein Grund sein, warum viele Demenzkranke nicht mehr ausreichend trinken. Typische Beispiele der Agnosie in der Pflege sind, dass Pflegekräfte als Tochter oder Schwiegertochter, als Vater oder als Mutter angesehen werden. Viele Gegenstände werden nicht mehr erkannt oder verwechselt, z. B. werden Gabeln als Zahnbürsten benutzt, Handcremes werden mit Shampoo verwechselt.
Mir ist es sehr wichtig darauf aufmerksam zu machen, dass es allein aufgrund der fehlenden Beherrschung der deutschen Sprache bei Patienten oder Bewohnern mit Migrationshintergrund zu einer falschen Diagnose „Demenz“ kommen könnte.
Was meinen Sie?
Silvia Ernst-Tijero
Informationen zur Autorin:

Silvia Elizabeth Tijero Sanchez ist examinierte Altenpflegerin, Lehrerin für Pflegeberufe und Berufspädagogin - Fachbereich: Pflege. Die Peruanerin absolvierte u. a. eine Fachweiterbildung zur Fachkraft für Gerontopsychiatrie und arbeitete mehrere Jahre in verschiedenen Einrichtungen der Altenpflege im stationären und ambulanten Dienst. Zurzeit arbeite sie als Lehrkraft in der Aus- und Weiterbildung.
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