Lauftendenzen - Bewegungsdrang

Es kann allerdings durchaus problematisch werden: So kommt es beispielsweise in Pflegeeinrichtungen immer wieder zu Konflikten mit Mitbewohnerinnen und Mitbewohnern, wenn sie permanent deren Zimmer betreten. Vor allem aber birgt es eine Reihe von Gefahren.

Es besteht erstens das Risiko, dass Menschen mit Demenz ihre Wohnung ohne Begleitung verlassen und aufgrund ihres beeinträchtigten Orientierungssinns nicht mehr nach Hause finden.

Zweitens können einige von ihnen mit dem Laufen selbst dann nicht aufhören, wenn sie eigentlich schon müde und erschöpft sind. Dabei verbrennen sie zum einen so viele Kalorien, dass sie stark an Gewicht verlieren können, obwohl sie vielleicht drei bis vier Mahlzeiten am Tag zu sich nehmen. Zum anderen kann es aufgrund der großen körperlichen Anstrengung beim Laufen zu einer Unterzuckerung kommen und dann wie bei Diabetikern gewisse Verhaltensauffälligkeiten auftreten (wie zum Beispiel lautem Rufen oder heftiger Gegenwehr gegen Versuche, sie zum Ausruhen zu bewegen).

Das größte Problem aber ist, dass pausenloses Umherlaufen Stürze oder gar Frakturen zur Folge haben kann.

Ursachen

Der Bewegungsdrang kann durch unterschiedlichste Faktoren hervorgerufen werden:

  • Lebenslange Gewohnheit:
    Einige Menschen mit Demenz achten schon immer auf ihre Gesundheit und bewegen sich einfach gerne, vor allem an der frischen Luft. Andere haben seit jeher die Angewohnheit, einen Spaziergang zur Entspannung zu machen, wenn sie Kummer oder Stress bewältigen müssen.
  • Einsamkeit und Langeweile:
    Manche Menschen mit Demenz beginnen herumzulaufen, wenn ihnen langweilig ist: Sie suchen dann nach Kontakt und nach einer Beschäftigung.
  • Neugier:
    Einige Personen mit Demenz sind von Natur aus unternehmungslustig und wissbegierig und erkunden daher ihnen neu oder fremd erscheinende Umgebungen.
  • Verunsicherung:
    Bei einigen Betroffenen führt die nachlassende Kommunikationsfähigkeit zu Verunsicherungen. Weil ihnen die Beteiligung an Gesprächen immer schwerer fällt und sie die damit verbundenen Blamagen fürchten, meiden sie Gruppensituationen immer öfter und beschäftigen sich stattdessen mit etwas, das sie noch fehlerfrei beherrschen – nämlich dem Laufen.
  • Schmerzen und Unwohlsein:
    Manche Personen mit Demenz beginnen umherzulaufen, weil es ihnen körperlich nicht gut geht: Sie haben vielleicht Hunger oder Durst, sie schwitzen oder frieren, sie empfinden Juckreiz oder Schmerzen oder sie haben Verstopfung oder Harndrang.
  • Hinlaufen:
    Manchmal haben Menschen mit Demenz ein Ziel vor Augen – sie laufen gewissermaßen zu etwas hin. Der Bewegungsdrang ist in diesem Fall als Suche nach etwas zu verstehen, was Geborgenheit und Sicherheit, quasi eine „heile Welt“ verspricht. Dabei kann es sich um eine geliebte Person, wie beispielsweise die Mutter oder die kleinen Kinder, oder auch um ein früheres Zuhause (oft das Elternhaus) oder sogar den ehemaligen Arbeitsplatz handeln.
  • Weglaufen:
    Manch ein Mensch mit Demenz will weglaufen, weil er sich unwohl oder überfordert fühlt und ihm alles um ihn herum fremd und bedrohlich erscheint. Wer früher alleine gelebt hat, empfindet beispielsweise oftmals die vielen Menschen, die ihn in einem Pflegeheim umgeben sowie die dortige Geräuschkulisse als unangenehm. Zudem werden viele Betroffene von dem Stress und der Hektik der Personen in ihrer Umgebung angesteckt und zum Fortlaufen veranlasst. Das Weglaufen und Nach-Hause-Wollen kann nach einem Umzug in eine neue Umgebung auftreten, aber auch, wenn die Demenz die Erinnerung an die letzten Jahrzehnte genommen hat. In diesem Fall wird oft das derzeitige Zuhause nicht mehr wiedererkannt, selbst wenn die Person dort seit 40 und mehr Jahren lebt.
  • Gestörter Tag-Nacht-Rhythmus:
    Weil die Demenz oftmals zu einer zeitlichen Umkehrung der Schlaf- und Wachphasen führt, weisen einige Menschen mit Demenz vor allem nachts Ruhelosigkeit und Bewegungsdrang auf und sind dementsprechend tagsüber so müde, dass sie immer wieder einschlafen.
  • Medikamente:
    Manche Medikamente können als Nebenwirkung oder entgegen der erwarteten beruhigenden Wirkung zum Gegenteil führen und Bewegungsdrang auslösen.

Die Pflegeverantwortlichen müssen sich in jedem einzelnen Fall fragen, ob das Laufen der betroffenen Person gut tut oder ob ihr Bewegungsdrang ein Ausmaß angenommen hat, das ihr selber schadet oder für andere unzumutbar ist. Genießt sie das Wandern, sollte man es nach Möglichkeit unterstützen. Überwiegen Risiken und Konfliktpotenzial, oder stellt sich heraus, dass es eher eine Reaktion auf als negativ erlebte Reize darstellt, gilt es, zu prüfen, ob man die Ursachen beheben kann.

In einigen Fällen kann man die Ursachen dadurch herausfinden, dass man überlegt, ob es einen zeitlichen Zusammenhang zwischen (verstärktem) Bewegungsdrang und bestimmten räumlichen, personellen oder medikamentösen Änderungen gibt. Manchmal findet man allerdings trotz sorgsamer Beobachtung keine eindeutige Erklärung und muss den Laufdrang als Symptom der Demenz akzeptieren.

Umgang mit Bewegungsdrang

Es bieten sich folgende Möglichkeiten, den Bewegungsdrang von Menschen mit Demenz zu reduzieren oder Gefahrenquellen zu minimieren:

  • Um Schmerzen oder beispielsweise einen Harnwegsinfekt als Ursache für das ständige Umherlaufen auszuschließen, sollte man eine Untersuchung veranlassen und auf Verdacht hin in Absprache mit dem Arzt ausprobieren, ob die Gabe leichter Schmerzmittel zu einer Abnahme des Laufdrangs führt.
  • Um Stürze möglichst zu vermeiden, sollte man Stolperfallen wie lose Teppiche entfernen, Handläufe in der Wohnung anbringen, und ihnen auch im Haus feste Schuhe anziehen.
  • Um die Gefahr von Gewichtsverlust und Unterzuckerung gering zu halten, ist es hilfreich, entlang der üblichen Laufwege von Menschen mit Demenz im Haus Säfte, kleine Obstteller und andere hochkalorische Leckereien bereitzustellen.
  • Um das Innehalten oder gar Hinsetzen attraktiv zu gestalten, sollte man es möglichst unterlassen, Menschen mit einem ausgeprägten Laufdrang mit Unverständnis und Ärger zu begegnen. Stattdessen empfiehlt es sich, sie bei jeder Begegnung freudig zu begrüßen, ihnen unterwegs zuzulächeln oder zuzuwinken und sie immer mal wieder zu einem Plausch auf dem Sofa einzuladen.
  • Um zu verhindern, dass orientierungslose und weglaufgefährdete Menschen mit Demenz unbemerkt das Haus verlassen, kann die Haustür durch einen Alarm gesichert werden, welcher entweder unaufdringlich und wohltönend wie ein Glockenspiel ist oder am besten nur von den Pflegeverantwortlichen gehört werden kann.
  • In Pflegeeinrichtungen tragen insbesondere großflächige, durch einen Zaun geschützte Gärten dazu bei, dass Menschen mit Demenz sich ungehindert, und auch mal unbegleitet bewegen können.
  • Wenn möglich, sollte man ihnen täglich gemeinsame Spaziergänge von mindestens 30 Minuten Dauer in der weiteren Umgebung anbieten.
  • Regelmäßige, den Tag strukturierende Angebote mit starker sozialer Komponente, wie Sitztanz, Seniorengymnastik, und gemeinsames Singen oder auch biografisch verankerte Tätigkeiten, die den Charakter von Arbeit haben (und deshalb als sinnvoll erlebt werden) können zeitweise das Laufen unterbrechen.
  • Auch Ablenkung durch eine emotionale Stimulation wie zum Beispiel das Anhören einer Lieblingsmusik, das Anschauen eines Gottesdienstes oder Kontakte mit kleinen Kindern und Haustieren können dazu führen, dass ein Mensch mit Demenz länger sitzen bleibt.
  • Weil Schaukeln Menschen mit Demenz beruhigt, gelingt es manchmal, einen Teil ihrer nervösen Energie mithilfe eines im Hinblick auf die Sturzgefahr sicheren Reha-Schaukelstuhls abzubauen.
  • Angenehme Beleuchtung, stille Umgebung und bequeme Sitzmöbel (möglichst fernab der Ausgänge) laden ebenfalls zum Verweilen ein.
  • Der Einsatz von Ortungssystemen wie GPS-Trackern ist ethisch umstritten; versorgende Personen befürworten den Einsatz eher.