Jochen Gust Das ist das Demenz-Paradoxon

Wer sich, ob als Angehöriger oder aufgrund beruflicher Aufgabenstellung um einen erkrankten Menschen kümmert, kann je nach Krankheit die frustrierende Erfahrung machen, dass es trotz aller Bemühungen nicht besser wird. Manchmal werden Menschen nicht wieder gesund, manche Krankheiten sind unheilbar – die irreversiblen Demenzerkrankungen – beispielsweise die Alzheimerkrankheit, bei denen das Gehirn direkt ursächlich betroffen ist, gehören dazu.

Normalerweise kompensieren kranke Menschen in irgendeiner Art und Weise Einschränkungen, die ihre Erkrankung mit sich bringt. Beispielsweise in dem sie einen Rollator benutzen um sicherer zu Gehen oder Situationen und Aufgaben meiden, denen sie nicht gewachsen sind. Zudem nehmen sie Unterstützung und Hilfe in Anspruch und akzeptieren mehr oder minder die dafür nötigen Schritte und Umstände.

Bei Demenzerkrankungen wie der Alzheimerkrankheit ist dies anders, was die sorgende Umgebung erheblich belasten kann. Dr. Jens Bruder (verstorben 2020) war eine herausragende Persönlichkeit in Deutschland in Sachen Demenz. Er hat nicht nur in Hamburg erheblichen Einfluss auf den Umgang mit herausfordernden Verhaltensweisen genommen und den Umgang mit Menschen mit Demenz geprägt. Er war auch Mitbegründer der Deutschen Alzheimer Gesellschaft (Vorsitz 1997-1998) und prägte den Begriff des Demenz-Paradoxon: damit beschrieb er, dass die Betroffenen mit zunehmender Krankheitsschwere immer unfähiger werden, die eigenen Einschränkungen der kognitiven Leistungsfähigkeit wahrzunehmen und entsprechend angemessen darauf zu reagieren. Das heißt konkret im Pflege- und Betreuungsalltag, dass es typisch für die Betroffenen ist, im Verlauf immer stärker auf Hilfe und Unterstützung angewiesen zu sein, während gleichzeitig das Vermögen sinkt, dies wahrzunehmen und darauf zu reagieren. Dementsprechend kommt es dazu, dass Hilfe im Verlauf abgelehnt wird, Betroffene ihre Möglichkeiten falsch einschätzen und Unterstützungsangebote nicht in Anspruch genommen werden.

Das ist ein deutlicher Unterschied, bezogen auf die meisten anderen Erkrankungen. Ihn zu kennen kann insofern für Entlastung sorgen, weil die Ablehnung von Hilfe nicht etwa als Ablehnung der Unterstützungsperson fehlinterpretiert wird. Es geht also häufig darum, dass eine Person mit Demenz den eigenen Unterstützungsbedarf und wie weit dieser reicht, gar nicht wahrnehmen kann – und nicht um Antipathie, wenn Hilfe abgelehnt wird.

Zum gegenseitigen Austausch zum Thema Demenz besuchen Sie das Forum des Wegweiser Demenz. Beratung und Information in ihrer Region finden Sie über die Adressdatenbank.