Jochen Gust Pflege auf Distanz: so nah und doch so fern

Angehörige sind ein wesentlicher Bestandteil der pflegerischen Versorgung in Deutschland. Nicht immer jedoch leben sie in relativer Nähe zu den Pflegebedürftigen, was besondere Herausforderungen und Schwierigkeiten mit sich bringen kann.

International wird in diesen Pflegesituationen von „Distance Caregiving“ (DC) oder „Long Distance Caregiving“ (LDC) bei mehr als einer Stunde Fahrtzeit zum Pflegebedürftigen gesprochen, wobei auch andere Definitionen zum Beispiel anhand von Kilometern bekannt sind.

Weit entfernt zu sein bedeutet auch, dass pflegende Angehörige insbesondere in Krisensituationen nicht sofort eingreifen können, was häufig als belastend wahrgenommen werden kann. Zudem entstehen spezifische organisatorische und administrative Herausforderungen, die Helfende in unmittelbarer Nähe zum pflegebedürftigen Menschen nicht haben. Nicht selten findet eine Kombination aus „Pendelpflege“ und Planung und Organisation der täglichen Begleitung und Versorgung besonders von Menschen mit Demenz durch andere Verwandte, Nachbarn, Bekannte und professionelle Dienste statt, manchmal sogar über Ländergrenzen hinweg. Hinzu kommen Rechercheaufgaben, Kontrollen der Pflegesituation und auch die emotionale Begleitung sowohl des Pflegebedürftigen selbst als auch von sorgenden Personen vor Ort und Entscheidungsfindungen, wenn es zum Beispiel um die Wahl einer Therapie oder eines Hilfsmittels geht. Auch Reisekosten und Fahrtzeiten entstehen den pflegenden Angehörigen auf Distanz.

Häufig erschöpft sich die Thematik in der Vereinbarkeit von Pflege und Beruf. Arbeitgeber sind gefordert, die Pflege auf Entfernung mit zu ermöglichen und bei der Planung der Arbeit zu berücksichtigen (PDF). Tatsächlich ist eine Verbesserung der Situation auch dahingehend nötig, dass professionelle Anbieter auch Angehörige aus der Distanz als aktive, an der Versorgung tatsächlich beteiligte Gruppe begreifen müssen, um eine förderliche Zusammenarbeit nicht zu erschweren. Denn Distance Caregiving ist schon durch die räumliche Entfernung in besonderem Maße auf Transparenz, Zuverlässigkeit und gute Qualität der Leistungserbringung angewiesen.

Pflegende Angehörige, die in räumlicher Distanz zum Pflegebedürftigen leben, sind daher gut beraten,

  • ein vertrauenswürdiges Vor-Ort-Netzwerk frühzeitig aktiv aufzubauen. Lassen Sie sich gegebenenfalls von einem Pflegeberatenden oder einem Pflegestützpunkt sowie regionalen Alzheimer Gesellschaften dazu beraten und dabei unterstützen.
  • die Digitalisierung für die Organisation und Planung der Versorgung des Pflegebedürftigen zu nutzen: moderne Formen der Zusammenarbeit können dabei einen großen Mehrwert bieten. Klassisch hierfür in Gebrauch sind ohnehin Messengerdienste. Jedoch gibt es mehr Möglichkeiten – von der Videotelefonie und telemedizinischen Arztsprechstunde bis hin zu Online-Foren, wie sie der Wegweiser Demenz bietet.
  • Auch gibt es Apps oder internetbasierte Programme beziehungsweise Webseiten, die einen gemeinsamen Kalender für alle an der Versorgung beteiligten bieten sowie einen Chat ermöglichen oder wichtige Unterlagen einsehbar machen. Die Nutzung kann ungemein entlasten, da ständige gegenseitige Rückfrage nicht nur über den Zustand, sondern auch die Abstimmung wichtiger Termine auf diese Weise erleichtert wird. Diejenigen, die vor Ort sind, sollten unbedingt die Bereitschaft mitbringen, sich gegebenenfalls auf eine gemeinsame Lösung einzulassen.

Ob vor Ort oder nicht: pflegende und betreuende Angehörige benötigen auch selbst Entlastung und Austausch. Dies bieten bereits einige Projekte und Träger zum Beispiel der Wohlfahrt im Rahmen sogenannter Online-Stammtische und Austauschtreffen an. Es kann sehr wohltuend sein, auf andere Menschen zu treffen, die in einer ähnlichen Situation sind.

Aufgrund der heute von jüngeren Menschen geforderten beruflichen Mobilität und Flexibilität und der demographischen Entwicklung wird das Thema weiter an Bedeutung gewinnen. Long Distance Caregiving ist Normalität und auch die Anbieter professioneller Dienstleistungen werden sich im eigenen Interesse darauf einlassen müssen, Angehörigen mit technischen Lösungen entgegenzukommen, in jedem Fall aber verbindliche und zuverlässige Ansprechpartner:innen zu sein.