Gabriele Paulsen Was ist eigentlich eine Verstehenshypothese?

Die Kommunikation zwischen Menschen kann sich schon mal als schwierig erweisen. Wie oft redet man aneinander vorbei oder interpretiert etwas in eine getroffene Aussage. Gedanken schwirren zusätzlich im Kopf, wie jemand etwas gemeint haben könnte, man traut sich aber nicht nachzufragen. Wenn man sich selber mit solchen Situationen überfordert, wie mag es einem an Demenz erkrankten Menschen dann damit ergehen?

Im Deutschunterricht steht es für die Interpretation eines Textes oder eines Gedichts.
Ich war mir damals im Leistungskurs bei weitem nicht immer einig mit meinem Lehrer. Nun empfehlen die Wissenschaftler aus Osnabrück im jüngst konsentierten Expertenstandard zur Beziehungsgestaltung in der Pflege von Menschen mit Demenz „zu verstehen“, aber wie?
Wer weiß es denn (besser)?

Der personenzentrierte Ansatz, bereits 1969 von Carl Rogers in der Gesprächstherapie benannt, kann zur Entwicklung eines positiven Selbstkonzeptes führen. Ist es nicht möglich, dass Menschen mit Demenz, deren kognitive Defizite meist zuerst von deren Umfeld erkannt werden, ganz automatisch ein positives Selbstbild von sich entwickeln? So ganz ohne Erkenntnis im klassischen Sinne, sondern eher aus Selbstschutz?
Vielleicht kann und will ich mein mir vertrautes Selbst nicht aufgeben, den eigenen Mangel aufgrund einer „Kopfkrankheit“ nicht sehen. Wozu brauche ich Gedächtnisstützen, wenn diese mich nicht stützen, sondern emotional zu Fall bringen?

Kontinuierliche Hinweise von nahestehenden Familienmitgliedern und pflegenden Angehörigen auf meine Defizite schaffen weitere Verunsicherung, die nicht selten mit Hilflosigkeit in Form von Aggression quittiert werden.

In meiner täglichen Arbeit als Pflegeberaterin sehe ich, wie immer wieder versucht wird, den Erkrankten entweder zu bevormunden oder zu ermutigen, doch wieder der oder die „Alte“ zu werden.

Ich sehe die Erschöpfung und Hoffnungslosigkeit der Pflegenden. Sie muten sich meist zu viel zu und laden Unterstützung erst sehr spät ein, leider.
Zu groß ist die Angst, das selbstbestimmte Leben eventuell aufgeben oder einschränken zu müssen.

Dabei erlauben sich Angehörige oft gar nicht, den zu Pflegenden nur wenige Momente aus den Augen zu lassen und somit ist keiner mehr wirklich frei. Doch manchmal wird auch herzhaft gelacht und zärtlich gefühlt, wenn es eine Verbindung gibt.
Verbindung kann auch zu Menschen außerhalb der Familie entstehen.

Pflege ist gefordert – wieder einmal - doch Beziehungsgestaltung ist schon im ganz normalen Leben nicht immer einfach.

Werden wir nicht auch von Freunden und Kollegen nicht immer verstanden, unsere Äußerungen und Handlungen manchmal fehlinterpretiert?

„So habe ich das gar nicht gemeint, wie kannst Du so denken?“
Gesund oder nicht, wir wünschen uns Lebensweltorientierung, Wahrnehmungsförderung, Wertschätzung und Zuwendung. Da hilft mir Familie, Haustiere, Singen, Musik und Tanz. Übrigens habe auch ich einige Stofftiere im Bett, die mir sehr am Herzen liegen und mir ein gutes Gefühl geben. Ich habe ihnen Namen gegeben von Menschen, die gut zu mir waren.
Kommunikative Fähigkeiten mal anders, nämlich: Lasse mich weinen, lachen oder schimpfen - nimm’ mich doch einfach nur in den Arm und streichle mich verständnis- und liebevoll.
Vielleicht beruhigt es mich.

Viel Erfolg dabei wünscht Gabriele Paulsen