Jochen Gust Wie gehe ich um mit Antriebslosigkeit des Menschen mit Demenz?

In den vergangenen Jahren haben sich vielerorts Angebote für Menschen mit Demenz etabliert, die auf die besonderen Bedürfnisse und Möglichkeiten von Betroffenen Rücksicht nehmen und so Aktivität und Teilhabe ermöglichen. Von Museumsführungen für Menschen mit Demenz bis Sport- oder Handarbeitsangeboten, von Chorgruppen bis zum gemeinsamen Spaziergang ist eine Menge möglich. Nicht selten sind gerade auch pflegende Angehörige erleichtert. Sie erfahren je nach Angebot eine Entlastung vom fordernden Alltag und profitieren zugleich von Anregungen und Bewegungsmöglichkeiten. 


Aber was, wenn Betroffene gar nicht teilnehmen wollen?
Zunächst einmal ist das ihr gutes Recht. Angebote sollen freiwillig nutzbar sein und jeder Mensch mit Demenz darf für sich darüber entscheiden, ob sie angenommen werden oder nicht.

Bei Menschen mit Demenz ist jedoch auch wichtig zu beachten, dass die Weigerung Angebote anzunehmen, häufig durch verschiedene Faktoren beeinflusst wird. Beispielsweise:

  • die Angst vor Überforderung: „Schaffe ich das? Kann ich das?“
  • die Sorge, dass Defizite, die eine Demenz mit sich bringen kann, vor Dritten offensichtlich werden: Betroffene möchten also Beschämung vermeiden.
  • Geldsorgen: „Wer bezahlt das alles?“. Insbesondere wenn Menschen mit Demenz selbst nicht mehr über (Bar-)Geld verfügen, alles „für sie geregelt“ wird, kann die Sorge aufkommen, wie alles bezahlt wird.
  • Angst, nicht mehr zurückzufinden beziehungsweise den Weg nicht bewältigen zu können: Eine Demenz wirkt sich unter anderem auf die Orientierungsfähigkeiten des Menschen aus. Eine reale Angst kann also sein, den Zielort nicht zu erreichen oder nach dem Ende der Aktivität hilflos irgendwo zu „stranden“ ohne die Möglichkeit zu haben, wieder nach Hause zu finden.
  • Das Angebot passt nicht zum Naturell der Person, zu seinen Interessen: Hier ist zu beachten, dass sich im Lauf eines Lebens Wünsche und Vorlieben ändern. Das ist auch bei Menschen mit Demenz so: der Schreiner in Rente muss durchaus nicht zwingend am Holz-Workshop für Menschen mit Demenz interessiert sein.

Diese beispielhaft genannten Aspekte zeigen auch, wie Sie als Angehörige vielleicht darauf einwirken können, den Menschen mit Demenz doch noch zur Teilnahme zu bewegen.


Hier sind 7 Ideen, wie Sie die Teilnahme an einer Aktivität attraktiver gestalten können:
Das Wichtigste zuerst: Nimmt Ihr Angehöriger nicht teil und lehnt das Angebot weiterhin ab, dann ist das niemandes Fehler. Es ist, wie es ist.

  1. Begleiten Sie Ihren Angehörigen beim ersten Mal oder immer wieder zur Aktivität. Es mag Phasen geben, wo er oder sie währenddessen auch allein bleiben kann, zwischendurch aber Ihre Anwesenheit die nötige Sicherheit vermittelt, die gebraucht wird, um zu bleiben oder wieder hinzugehen.
  2. Es hat einen Grund, warum es heute kaum noch „Seniorenteller“ in Restaurants gibt. Menschen wollen das so nicht und (können) es als stigmatisierend empfinden, ein solches Spezialangebot offeriert zu bekommen. Es kann daher entscheidend sein, zwar die Veranstaltung danach auszusuchen, ob sie für Menschen mit Demenz speziell geeignet ist, jedoch sollte es unerwähnt gegenüber den Betroffenen bleiben. Heißt: es kann deutlich besser sein zu sagen „Heute ist Chorsingen.“, als „Anbieter XY bietet regelmäßig gemeinsames Singen für Menschen mit Demenz an – willst Du da heute hin?“.
  3. Wenn für Sie im Vordergrund steht, dass die Ablehnung aus Angst vor Überforderung besteht, kann es im Gegensatz zu Punkt 2 sehr sinnvoll sein zu verdeutlichen, dass auf die besonderen Bedürfnisse Rücksicht genommen wird. Beachten Sie, dass es sich dabei oft nicht um das Thema Demenz für Ihren Angehörigen handelt, sondern zum Beispiel, ob eine Toilette zügig erreichbar ist und ob jemand dorthin hilft, ob der (barrierearme) Zugang zum Veranstaltungsort möglich ist, ob es weit zu Gehen ist und so weiter. Wenn die näheren Umstände klar sind, kann das die nötige Sicherheit bieten.
  4. Gerade bei erstmaliger Teilnahme, aber auch im Verlauf der Demenz kann es hilfreich sein, um Begleitung zu bitten. Das heißt: Nicht Ihr Angehöriger soll dort hin, sondern Sie möchten hin und bitten ihn um seine Begleitung.
  5. Wenn Ängste und Befürchtungen im Raum stehen, kann es klug sein, die Veranstaltung oder Aktivität nicht tagelang im Voraus anzukündigen. Denn das kann dazu führen, dass sich bis zum Stichtag immer mehr gedankliche Hürden und Sorgen aufbauen.
  6. Im Gegensatz zu Punkt 5 benötigen manche Menschen, je nach Typ, viel Struktur. Tragen Sie Termine in einen Kalender ein, wenn Betroffene diese benutzen oder sprechen Sie mit ausreichendem Vorlauf regelmäßig darüber. Erwähnen Sie im Gespräch auch, dass Sie sich darauf freuen.
  7. Nehmen Sie Therapiecharakter und -ziele heraus: Es geht um Normalität, natürliche Aktivität und Interessenpflege. Gerade wenn kein Krankheitsbewußtsein vorhanden ist: sprechen Sie nicht über einen (möglichen) therapeutischen Charakter den ein Angebot hat oder haben soll. Wer sich als gesund betrachtet, braucht keine Therapie. Die Ablehnung folgt dann dem Selbstempfinden und ist für den Betroffenen logisch.

Der Umgang mit Menschen mit Demenz bietet besondere Herausforderungen. Generalisierte Antworten mit Lösungsgarantie gibt es nicht. Ebenso wie die Demenz selbst fortschreitet, bleibt das Leben im Fluss. Das heißt, dass Sie vor allem Durchhaltevermögen brauchen – und immer wieder nach neuen Wegen suchen müssen oder bereits vertraute Wege anpassen. Geben Sie daher nicht zu früh auf und sorgen Sie auch dafür, dass Sie selbst die Kraft und die Nerven behalten, diese Wege suchen und gehen zu können.